Rechtsprechungsreport

Anrechnung anderweitiger Verdienst bei unwiderruflicher Freistellung

Der Fall

Die Parteien streiten darüber, ob ein vom Kläger während eines vertraglich vereinbarten Freistellungszeitraums anderweitig erzielter Verdienst auf seine Vergütung anzurechnen ist.

Die Parteien schlossen einen Aufhebungsvertrag, der u.a. folgende Regelungen enthält:

  • Die Arbeitgeberin und Herr L. sind sich darüber einig, dass das zwischen Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen, auf Veranlassung des Arbeitnehmers, mit Ablauf des 30.4.2019 durch diesen Aufhebungsvertrag enden wird.
  • Ab dem 21.9.2018 wird Herr L. bis zum 30.4.2021 unter Anrechnung aller noch bestehenden Urlaubsansprüche sowie Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto unter Fortzahlung des monatlichen Entgelts in Höhe von 9.676 EUR brutto unwiderruflich bezahlt von der Arbeit freigestellt.
  • Herr L. erhält das Recht mit einer Ankündigungsfrist von drei Werktagen durch schriftliche Erklärung vor dem 30.4.2019 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Das Arbeitsverhältnis endet dann mit dem Zeitpunkt, den Herr L. angibt. In diesem Fall erhält Herr L. in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindungssumme für jeden vollen Monat der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Höhe von 2.690 EUR brutto und für jeden vorzeitigen Kalendertag in Höhe von 90 EUR brutto.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages hatte der Kläger noch offene Urlaubsansprüche für das Kalenderjahr 2018 im Umfang von acht Tagen sowie Anspruch auf Freizeitausgleich in Höhe von 0,62 Stunden. Am 19.12.2018 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er am 7.1.2019 eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber aufnehmen werde. In diesem Arbeitsverhältnis erzielte der Kläger eine höhere monatliche Vergütung als bei der Beklagten. Daraufhin zahlte die Beklagte in der Zeit vom 1.1. bis zum 30.4.2019 keine Vergütung mehr an den Kläger. Mit seiner Klage hat der Kläger Vergütungszahlungen in Höhe von 38.815,48 EUR brutto für die Zeit von Januar bis April 2019 verlangt. Er hat gemeint, auf seine Vergütungsansprüche sei der anderweitig erzielte Verdienst nicht anzurechnen. Der Aufhebungsvertrag enthalte lediglich ein Recht, aber keine Pflicht zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Die Entscheidung

Der Kläger hat – so das BAG – im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.1. bis zum 30.4.2019 nach dem Aufhebungsvertrag Anspruch auf die Zahlung seiner Vergütung. Eine Anrechnung anderweitigen Verdiensts nach § 615 S. 2 BGB scheide aus, weil sich die Beklagte in dieser Zeit nicht in Annahmeverzug befunden habe. Die vereinbarte Freistellung hat die Aufhebung der Arbeitspflicht des Klägers bei gleichzeitiger Befreiung der Beklagten von der Beschäftigungspflicht bewirkt. Mangels Arbeitspflicht des Klägers habe der Beklagten im streitigen Zeitraum eine hierauf bezogene Gläubigerstellung gefehlt. Ein Annahmeverzug nach §§ 293 ff. BGB habe somit nicht begründet werden können. Die vertraglich vereinbarte Freistellung unterscheide sich insoweit von der einseitig vom Arbeitgeber erklärten Freistellung. Hierin sei regelmäßig die Erklärung zu sehen, die Annahme der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung werde abgelehnt. Durch diese Erklärung gerate der Arbeitgeber gem. § 293 BGB in Annahmeverzug. Die Situation sei so zu beurteilen, als hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeit nach Hause geschickt, weil er ihn nicht länger beschäftigen will. Dementsprechend bedürfe es keines Arbeitsangebotes des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber mit der Freistellung erkennen lässt, unter keinen Umständen zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bereit zu sein. Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers werde in einem solchen Fall durch § 615 S. 1 BGB mit der Möglichkeit der Anrechnung anderweitigen Verdiensts nach § 615 S. 2 BGB Aufrecht erhalten.

Nach Auffassung des BAG haben die Parteien die Anrechnung anderweitig erzielten Verdiensts auf den Vergütungsanspruch des Klägers aber konkludent im Aufhebungsvertrag vereinbart. Dies ergibt nach Auffassung des BAG die ergänzende Auslegung des Aufhebungsvertrags. Das vereinbarte Sonderkündigungsrecht ergebe nur dann Sinn, wenn der Kläger während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten beabsichtigt, ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber zu begründen. Der Aufhebungsvertrag eröffne ihm die Möglichkeit, abweichend von den geltenden Kündigungsfristen kurzfristig aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Für diesen Fall haben die Parteien eine teilweise Kapitalisierung der Vergütung vereinbart. Die Parteien seien aber offenkundig davon ausgegangen, dass der Kläger nur dann von der Option Gebrauch macht, wenn er einen anderen entsprechend gut bezahlten Arbeitsplatz gefunden hat. War dies der Fall, bestand eine Verpflichtung des Klägers, das Arbeitsverhältnis zu beenden Ein solches Verständnis berücksichtige die Interessen beider Vertragsparteien angemessen, weil sie einerseits dem Kläger Handlungsfreiheit und die freie Berufswahl bei finanzieller Absicherung belässt und andererseits dazu führt, dass die Beklagte durch die sie allein treffenden wirtschaftlichen Belastungen der Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung nicht übervorteilt wird. Für die Annahme des LAG, der Kläger habe Anspruch auf ein doppeltes Gehalt, fehlen in dem Aufhebungsvertrag die erforderlichen Anhaltspunkte.

Die Anrechnung des anderweitig erzielten Verdiensts sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Parteien nicht festgelegt haben, zu welchen Zeiten die Resturlaubsansprüche durch Urlaubsgewährung erfüllt werden. Der Aufhebungsvertrag sei dahingehend auszulegen, dass der Urlaub auf den Beginn der Freistellung festgelegt wurde. Wurde – wie hier – eine Sprinterklausel vereinbart, ist es unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen angemessen, von einer während der Zeit der Freistellung zeitlich vorrangingen Erfüllung des Urlaubsanspruchs auszugehen. Dieser soll wegen des mit ihm verbundenen Erholungszwecks zu Beginn der Freistellung erfüllt werden, weil die Parteien es offensichtlich für möglich gehalten haben, dass der Kläger kurzfristig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Eine Verschiebung der Erfüllung des Urlaubsanspruchs auf einen späteren Zeitpunkt würde den mit der Urlaubserteilung bezweckten Gesundheitsschutz gefährden, weil der Urlaub dann u.U. nicht mehr gewährt werden könnte.

Der Kläger habe nach § 5 Abs. 1c BUrlG bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30.4.2019 einen anteilig von der Beklagten zu gewährenden Urlaubsanspruch erworben. Dem stehe § 6 Abs. 1 BUrlG nach Auffassung des BAG nicht entgegen. Gleichfalls scheide eine analoge Anwendung des § 615 S. 2 BGB in Bezug auf die für das Jahr 2019 entstandenen Urlaubsansprüche nach Auffassung des BAG aus. Da das LAG zum Umfang des Urlaubsanspruchs für das anteilige Kalenderjahr 2019 keine Feststellungen getroffen hatte, konnte das BAG nicht entscheiden, in welcher Höhe die Klage begründet ist, sodass die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuweisen war.

Der Praxistipp
Die Entscheidung des BAG hat überrascht. Wie die Entscheidungen des ArbG und des LAG zeigen, war bislang davon auszugehen, dass bei einer in einem Aufhebungsvertrag vereinbarten unwiderruflichen Freistellung des Arbeitnehmers unter Fortzahlung der Vergütung und Anrechnung offener Urlaubsansprüche anderweitig erzielter Verdienst nicht auf die Vergütungsansprüche anzurechnen ist. Sollte eine Anrechnung erfolgen, musste dies explizit im Aufhebungsvertrag vereinbart werden. Das BAG führt nun aber mit überzeugender Begründung aus, dass dieses Verständnis jedenfalls dann unzutreffend ist, wenn der Aufhebungsvertrag eine sogenannte Sprinterklausel enthält. Jedes andere Verständnis dieser Vertragskonstellation würde andernfalls zu einer Übervorteilung des Arbeitgebers und zu einer nicht gerechtfertigten Verdopplung des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers führen. Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, sollte zukünftig dennoch weiterhin darauf geachtet werden, dass bei einer Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung die Anrechnung anderweitigen Verdiensts explizit vereinbart oder ausgeschlossen wird.

(BAG, Urt. v. 23.2.2021 – 5 AZR 314/20)

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