Rechtsprechungsreport

BahnCard 100 für Betriebsratsmitglied im Wege einer einstweiligen Verfügung

Der Fall

Die Beteiligten streiten im Eilverfahren um die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Vorsitzenden des Betriebsrats eine BahnCard 100 zur Verfügung zu stellen. In einer Gesamtbetriebsvereinbarung heißt es unter anderem:

„… Der Arbeitgeber wird die Reisekosten in der Region übernehmen und die Buchungen vornehmen. Dieses gilt wie folgt:

„Zu 100 % freigestellte Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 BetrVG (Optionen nach der Wahl des Betriebsratsmitglieds):

Option 1:

der Arbeitgeber stellt dem Betriebsratsmitglied eine BahnCard100, 2.Klasse, zur Verfügung: Im Gegenzug verzichtet das Betriebsratsmitglied auf die Geltendmachung von weiteren Fahrtkosten gegenüber dem Arbeitgeber.“

Option 2:

Der Arbeitgeber übernimmt die tatsächlich entstandenen Reisekosten des Betriebsratsmitglieds gegen Vorlage …“

Mit einer E-Mail vom 2.3.2022 wählte der zu 100 % freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats die Option 1. Eine BahnCard 100 ist ihm jedoch nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Gewährung einer BahnCard 100 und machte geltend, im Rahmen der Option 2 (Einzelabrechnung) könne er nicht unvoreingenommen Reisen planen. Er gehe davon aus, dass bei dieser Option 2 von der Arbeitgeberin eine Prüfung der Erforderlichkeit der Reise durchgeführt werde, das behindere die Betriebsratsarbeit. Der Vorsitzende des Betriebsrats habe nicht genug liquides Geld, um die Kosten der Reisen auch nur vorübergehend bis zur Erstattung zu tragen. Ein Verfügungsgrund ergebe sich schon aus der Tatsache, dass sich der Anspruch evident aus der Gesamtbetriebsvereinbarung ergebe.

Das Arbeitsgericht Köln hat den Antrag zurückgewiesen mit der Begründung, dass es dem Antrag an einem Verfügungsgrund fehle, also an der Eilbedürftigkeit des Begehrens des Betriebsrats (ArbG Köln, Beschl. v. 3.5.2022 – 5 BVGa 7/22). Mit der daraufhin eingelegten Beschwerde wandte sich der Betriebsrat gegen diese Entscheidung (LAG Köln, 28.7.2022 – 6 TaBVGa 4/22).

Die Entscheidung

Das LAG Köln wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Das Arbeitsgericht habe den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht und mit zutreffender Begründung, nämlich unter Hinweis auf die fehlende Eilbedürftigkeit, zurückgewiesen. Vorliegend seien keine Tatsachen ersichtlich, die es dem Betriebsrat unzumutbar machten das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die vom Betriebsrat begehrte Gewährung der BahnCard 100 sei zwar zulässig aber nicht begründet.

Einerseits könne der Betriebsratsvorsitzende die Reisen durchführen, ohne dafür sein eigenes Geld einzusetzen, indem er frühzeitig bei der Arbeitgeberin das Verfahren der sogenannten Travel Sheets nutze. In den Monaten Juni, Juli und August 2022 habe ihm für den Nahverkehr das 9-EUR-Ticket zur Verfügung gestanden. Der Betriebsratsvorsitzende kann die Reisen zu den auswärtigen Betriebsstätten durchführen, ohne eine „Erforderlichkeitsprüfung“ durch die Arbeitgeberin befürchten zu müssen. Der Betriebsrat habe keinen einzigen Fall nennen können, in dem eine Reise zu den auswärtigen Betriebsstätten von der Arbeitgeberin als nicht erforderlich erachtet worden wäre. Außerdem werde die Voraussetzung der Erforderlichkeit in § 37 Abs. 6 BetrVG und § 40 Abs. 2 BetrVG als solche allgemein nicht als Beeinträchtigung der Betriebsratsarbeit betrachtet.

Der Betriebsratsvorsitzende habe zudem die Möglichkeit, die Reisekosten vorzustrecken und sich diese von der Arbeitgeberin erstatten zu lassen. Dem stehe sein Vorbringen, er habe dafür nicht genügend liquide Mittel zur Verfügung, nicht entgegen. Jedenfalls würde eine BahnCard 100 die von ihm beschriebene finanzielle Misere nicht lindern, da bei den in den ersten Monaten des Jahres 2022 angefallenen Reisekosten ein monatlicher Betrag aufgewendet wurde, der die Kosten einer BahnCard 100 nicht annährend erreichte (eher nur 10 %). Der Betriebsratsvorsitzende müsse daher die Gewährung der BahnCard 100 weitgehend als geldwerten Vorteil versteuern. Nach überschlägiger Berechnung würde die Minderung seines Nettoeinkommens durch die zusätzliche Steuerbelastung die bisher für die Bahnkarten aufgewendeten Kosten deutlich übersteigen. Der Kläger müsse also nach Übergabe einer BahnCard 100 eine Minderung seiner Nettoeinkünfte befürchten – und dies dauerhaft (es sei denn, er würde mit ihr solche Privatfahrten durchführen, die er ohne BahnCard 100 – ebenfalls liquiditätsmindernd – bisher selbst bezahlt hatte). Ob die Gewährung eines geldwerten Vorteils aus Anlass der Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden, so wie von der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehen, als Verstoß gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG verboten sein könnte, sei im Rahmen der Eilbedürftigkeitsprüfung nicht relevant, mache aber deutlich, dass der Verfügungsanspruch nicht so evident gegeben sein dürfte, wie der Betriebsrat dies annimmt.

Der Praxistipp

Freigestellte Betriebsratsmitglieder stellen die Praxis immer wieder vor Probleme. Nach § 78 S. 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats aufgrund ihrer Tätigkeit weder benachteiligt, noch begünstigt werden. Eine Begünstigung kann dabei nicht nur arbeitsrechtliche Konsequenzen, sondern vor allem auch strafrechtliche Weiterungen nach sich ziehen. Ob tatsächlich eine strafbare Begünstigung vorliegt, ist dabei aber nicht immer ganz klar. Auch im vorliegenden Fall ist dies nicht sicher, auch wenn die Klausel der Gesamtbetriebsvereinbarung durchaus problematisch erscheint. Zwar kann die Inanspruchnahme einer BahnCard 100 im Einzelfall auch Nachteile für das Betriebsratsmitglied nach sich ziehen, denn weitere Fahrtkosten können nicht geltend gemacht werden. Andererseits ist die Argumentation des LAG in Bezug auf den geldwerten Vorteil nicht von der Hand zu weisen.

Letztlich dürfte es auch darauf ankommen, wie die anderen vergleichbaren Mitarbeiter des Unternehmens behandelt werden. Wenn auch diese die Möglichkeit haben, eine BahnCard 100 oder einen gleichwertigen Ersatz in Anspruch zu nehmen, scheidet eine Begünstigung aus. Ist dies nicht der Fall, so wird es schon kritischer. Den Betriebsparteien ist jedenfalls zu raten, die betreffende Klausel nochmals einer Überprüfung zu unterziehen.

(LAG Köln, Beschl. v. 28.7.2022 – 6 TaBVGa 4/22)

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