Rechtsprechungsreport

Annahmeverzugsvergütung – Keine Geltung der Ausschlussfristen für Mindestlohn

Der Fall

Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis, auf das der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4.7.2002 idF vom 10.6.2016 (BRTV-Bau) Anwendung fand. Der Tarifvertrag sieht eine zweistufige Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor. Danach ist die Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb von 2 Monaten nach deren Fälligkeit notwendig, andernfalls verfallen diese.

Nach zuvor erklärter Eigenkündigung des Arbeitnehmers zum 15.10.2017 führten die Parteien am 21.6.2017 ein Gespräch, dessen Verlauf im Einzelnen streitig ist. Am Ende des Gesprächs übergab die Arbeitgeberin ein Schreiben, in dessen Betreff es hieß: „Auflösung des Arbeitsverhältnisses/Kündigung gemäß § 1a KSchG“. Sodann wurde auf zwei Abmahnungen hingewiesen und abschließend formuliert: „Hiermit lösen wir im beiderseitigen Einvernehmen das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zum 21.6.2017 auf“.

Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage in deren Verlauf die Arbeitgeberin sich am 9.8.2017 an den Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers wandte und diesem mitteilte, es hätte mit dem Schreiben der Arbeitgeberin keine Kündigung, sondern vielmehr ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit Wirkung zum 30.6.2022 erfolgen sollen. Jedenfalls würden aus diesem Schreiben keine Rechte hergeleitet; der Arbeitnehmer möge seine Arbeit unverzüglich wieder aufnehmen. Ähnliches wurde auch gegenüber dem Gericht mitgeteilt, das auf Antrag des Arbeitnehmers am 24.8.2017 ein Anerkenntnis-Teilurteil erließ, in dem die Unwirksamkeit der Kündigung festgehalten wurde.

Am 1.10.2019 erhob der Arbeitnehmer eine weitere Klage, mit der er für die Zeit vom 1.7. bis 9.8.2017 unter Abzug des für August 2017 erhaltenen Arbeitslosengeldes die Zahlung von Annahmeverzugslohn forderte. Zur Berechnung legt er den – zu dieser Zeit geltenden – Mindestlohn von 8,84 EUR zugrunde. Der Arbeitgeber hielt der Forderung u.a. entgegen, dass der Arbeitnehmer, der noch Inhaber einer eigenen Firma sei, im streitgegenständlichen Zeitraum dort gearbeitet habe. Der Kläger sei deshalb weder Willens noch in der Lage gewesen, seine Arbeitsleistung zu erbringen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben (ArbG Reutlingen, Urt. v. 4.5.2021 – 7 Ca 194/19). Die von der beklagten Arbeitgeberin hiergegen eingelegte Berufung wies das LAG ab, ließ aber die Revision zu (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.11.2021 – 7 Sa 56/21). Das BAG hob auf die Revision der Beklagten das Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das LAG zurück (BAG, Urt. v. 13.7.2022 – 5 AZR 498/21).

Die Entscheidung

In seiner Entscheidung stellt das BAG fest, dass die tarifvertragliche Ausschlussfrist keine Anwendung auf Mindestlohnansprüche hat. Der Regelung des Tarifvertrages stehe § 3 S. 1 MiLoG entgegen. Auch wenn dort zunächst nur auf die Vergütung geleisteter Arbeit abgestellt werde, umfasse die Regelung auch Ansprüche gemäß § 615 S. 1 BGB. Dieser stelle den Arbeitnehmer im Falle des Annahmeverzugs so, als hätte er die vereinbarte Arbeitsleistung erbracht.

Für den von dem Kläger geltend gemachten Zeitraum bedurfte es nach der Entscheidung des BAG keines Arbeitsangebotes des Klägers. Aufgrund der Mitteilung der Beklagten, dass das Beschäftigungsverhältnis mit „sofortiger Wirkung“ aufgelöst sei, habe diese ausreichend deutlich gemacht, den Kläger nicht mehr beschäftigen zu wollen. Erst aufgrund des späteren Anwaltsschreibens sei insoweit eine Änderung eingetreten.

Weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Annahmeverzugslohn ist der Leistungswille und die Leistungsfähigkeit des Anspruchstellers. Hierzu bestätigt das BAG seine vorangegangene Rechtsprechung, dass es hierzu der Feststellung des Tatsachengerichtes bedürfe, ob diese Voraussetzungen erfüllt waren. Den fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers habe grundsätzlich der Arbeitgeber darzulegen und ggf. zu beweisen. Allerdings müsse der Arbeitgeber zunächst lediglich Indiztatsachen vortragen, die auf einen fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers schließen ließen. Sodann sei es Sache des Arbeitnehmers, diese Indizwirkung zu erschüttern. Trage er insoweit nicht oder nicht substantiiert vor, gelte die Behauptung des Arbeitgebers als zugestanden. Andernfalls sei es Sache des Arbeitgebers, den Leistungsunwillen oder die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu beweisen. Diesen Umstand hätten die Vorinstanzen in dem zu entscheidenden Rechtsstreit nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt. Tatsächlich habe der Arbeitgeber ausreichend Indizien vorgetragen, die auf die Leistungsunwilligkeit des Klägers hätten schließen lassen. Hierzu müsse dem Kläger allerdings Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, sodass der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden musste.

Der Praxistipp

Der 5. Senat des BAG bestätigte seine bereits zuletzt erkennbare Linie, dass der Annahmeverzugslohn nicht bereits dann, sozusagen automatisch, gezahlt wird, wenn der Arbeitgeber die Leistung des Arbeitnehmers ablehnt. Mit der jetzigen Entscheidung erinnert der Senat vielmehr an die weitere Voraussetzung gemäß § 297 BGB, den Leistungswillen und die Leistungsfähigkeit des Gläubigers. Es entspricht praktischer Erfahrung, dass diese nicht in jedem Fall vorliegen, sei es, weil der Arbeitnehmer gesundheitlich oder aus sonstigen Gründen die Leistung nicht erbringen kann, sei es, dass er seinerseits zu erkennen gegeben hat, für den Arbeitgeber nicht weiter tätig werden zu wollen. Im Ergebnis wird daher zukünftig dem Vortrag zur Geltendmachung des Annahmeverzugslohn mehr Beachtung geschenkt werden müssen.

(BAG, Urt. v. 13.7.2022 – 5 AZR 498/21)

Insight.pmks