Rechtsprechungsreport

Schwangerschaft – Beginn des Kündigungsverbots

Der Fall

Die Parteien schlossen einen Arbeitsvertrag mit einem vereinbarten Arbeitsbeginn am 15.10.2020. Mit Schreiben vom 6.11.2020 kündigte die Arbeitgeberin den Vertrag fristgerecht. Gegen die Kündigung erhob die Arbeitnehmerin am 12.11.2020 Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin teilte dem von ihr beauftragten Rechtsanwalt am 2.12.2020 ihre Schwangerschaft mit. Mit am gleichen Tag gefertigten Schriftsatz, der der Arbeitgeberin am 7.12.2020 zugestellt wurde, teilte der Rechtsanwalt den Bestand einer Schwangerschaft unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung mit.

Sowohl das Arbeitsgericht (ArbG Heilbronn, Urt. v. 15.4.2021 – 8 Ca 327/20) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 1.12.2021 – 4 Sa 32/21) haben die Kündigungsschutzklage zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurück.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht vertrat in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, die Klägerin könne sich auf das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG nicht berufen, da zum Zeitpunkt der Kündigung keine Schwangerschaft vorgelegen habe. In Abweichung zur ständigen Rechtsprechung des BAG ist das Landesarbeitsgericht, wie bereits zuvor das Arbeitsgericht, davon ausgegangen, dass für die Berechnung des Beginns einer Schwangerschaft eine Rückrechnung, ausgehend von dem voraussichtlichen Geburtstermin, auf der Basis einer Schwangerschaftsdauer von 266 Tagen zu erfolgen habe. Das Bundesarbeitsgericht geht hingegen bei der Rückrechnung von einem Zeitraum von 280 Tagen, gerechnet ab dem vermutlichen Geburtstermin, aus.

In seiner nunmehrigen Entscheidung bestätigt das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung und weist die gegenteilige Auffassung, wie sie durch das LAG vertreten wurde, zurück. Bei der Bestimmung des Beginns einer Schwangerschaft gehe es nicht um die tatsächliche, naturwissenschaftlich gesicherte Feststellung des Beginns der Schwangerschaft. Vielmehr müsse die Berechnung des Beginns der Schwangerschaft sich auch an dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutzauftrag orientieren. Aus diesem Grund sei es notwendig und geboten, den frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft für den Beginn des Kündigungsschutzes schwangerer Frauen zugrunde zu legen. Für den von dem Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Sachverhalt bedeutete dies, dass von einem Beginn der Schwangerschaft am 29.10.2020 und somit vor Beginn der Kündigung auszugehen war.

Für die neuerliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht weist das BAG auf weitere Grundlagen für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Mitteilung von der Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber hin. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist dem Arbeitgeber, sofern ihm bei Ausspruch der Kündigung die Schwangerschaft nicht bekannt ist, hiervon innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der Kündigung Mitteilung zu machen. Wird diese Frist überschritten, kann die Mitteilung unverzüglich nachgeholt werden, wenn die Fristüberschreitung von der Arbeitnehmerin nicht zu vertreten ist.

Arbeitnehmerinnen haben nach der Rechtsprechung des BAG eine verspätete Mitteilung über die Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber nur dann zu vertreten, wenn ihnen die Schwangerschaft positiv bekannt ist oder ihnen, auch ohne positive Kenntnisse, so eindeutige Hinweise auf eine Schwangerschaft vorliegen, die eine Schwangerschaft als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Nach dem Vortrag der Klägerin im hiesigen Sachverhalt, lagen derartige Kenntnisse nicht vor.

Sofern die Überschreitung der Mitteilungsfrist nach den vorgenannten Grundsätzen unverschuldet ist, bedarf es der unverzüglichen Nachholung der Mitteilung an den Arbeitgeber. In dem von dem Bundesarbeitsgericht zu beurteilenden Sachverhalt lag allerdings zwischen der Kenntnis der Klägerin von dem Bestand der Schwangerschaft und dem Zugang dieser Information bei dem Arbeitgeber ein Zeitraum von mehr als einer Woche. Diesen Umstand nimmt das BAG zum Anlass auch insoweit auf seine bisherige Rechtsprechung hinzuweisen und diese zu bekräftigen. Danach sei es für die Feststellung der Unverzüglichkeit der Mitteilung unschädlich, wenn die Arbeitnehmerin diese schriftsätzlich im Rahmen eines bereits anhängigen Rechtsstreites vornehmen lasse. Etwaige Verzögerungen bei der Zustellung seien der Arbeitnehmerin nicht zuzurechnen. Auch hafte die Arbeitnehmerin nicht für etwaige Versäumnisse eines von ihr beauftragten Boten. Die Information der Klägerin an ihren Rechtsanwalt 6 Tage nach der ärztlichen Feststellung einer Schwangerschaft müsse noch als unverzüglich gelten. Die Verzögerung der Mitteilung durch den Anwalt oder das Arbeitsgericht, die dazu geführt habe, dass die Arbeitgeberin erst insgesamt 11 Tage nach Feststellung der Schwangerschaft über diese informiert worden sei, könne der Klägerin nicht zugerechnet werden.

Der Praxistipp

Nicht nur mit der Bestätigung seiner Rechtsprechung zur Berechnung des Beginns einer Schwangerschaft, sondern auch mit seinen weiteren Hinweisen für den Fortgang des Rechtsstreites vor dem Landesarbeitsgericht macht das BAG deutlich, welchen überragenden Stellenwert der Schutz schwangerer Frauen vor Kündigungen besitzt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gründe für diesen besonderen Kündigungsschutz, ist die mit der Entscheidung einhergehende Klarstellung zu begrüßen. Die Diskussion über die für die Rückrechnung zugrunde zu legende Schwangerschaftsdauer dürfte damit, jedenfalls im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen, beendet sein.

(BAG, Urt. v. 24.11.2022 – 2 AZR 11/22)

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