Rechtsprechungsreport

 Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Vertrauensarbeitszeit

Der Fall

Bei der Arbeitgeberin, einem Telekommunikationsunternehmen, besteht auf Grundlage einer Gesamtbetriebsvereinbarung für die Mitarbeitenden des Vertriebsaußendienstes „Vertrauensarbeitszeit“. Die Mitarbeitenden sind gehalten, die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes einzuhalten. Die Mitarbeitenden sind verpflichtet, Überschreitungen der werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden aufzuzeichnen. Im Übrigen findet eine Aufzeichnung der Arbeitszeit nicht statt.

Der örtliche Betriebsrat verlangt von der Arbeitgeberin Auskunft über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit an jedem Arbeitstag, über jede Über- bzw. Unterschreitung der regelmäßigen betrieblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden sowie die an Sonn- und Feiertagen des Vormonates geleisteten Arbeitsstunden. Darüber hinaus verlangt der Betriebsrat, ihm die gem. § 16 Abs. 2 Satz 2 ArbZG erforderlichen Aufzeichnungen über die acht Stunden pro Tag hinausgehende Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen.

Das Arbeitsgericht München hatte die Anträge des Betriebsrates zurückgewiesen, da es an einer Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrates mangele (Beschl. v. 18.1.2021 – 29 BV 61/21). Vielmehr sei der Gesamtbetriebsrat für die Regelung der Arbeitszeit der Mitarbeitenden im Vertriebsaußendienst zuständig.

Die Entscheidung

Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betriebsrats war vor dem LAG München größtenteils erfolgreich. Nach Auffassung des LAG München steht dem örtlichen Betriebsrat der geltend gemachte Auskunftsanspruch sowie der Anspruch auf Einsichtnahme in die Aufzeichnung der Arbeitszeit gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG bezüglich der Mitarbeitenden des Vertriebsaußendienstes zu.

Der Auskunftsanspruch ergebe sich aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift könne der Betriebsrat Auskunft verlangen, soweit dies zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben erforderlich sei. Zu den Aufgaben des Betriebsrats gehöre die Überprüfung, ob die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen eingehalten werden. Die Unterrichtung soll es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben ergeben und er tätig werden muss. Vorliegend berufe sich der Betriebsrat darauf, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes überwachen zu wollen. Die verlangten Informationen seien zur Durchführung dieser Überwachungsaufgabe erforderlich. Zur Kontrolle der Einhaltung der nach § 5 Abs. 1 ArbZG vorgegebenen Ruhezeiten müsse er den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeitenden wissen. Abweichungen von der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit seien dem Betriebsrat mitzuteilen, um es ihm zu ermöglichen, die Einhaltung der Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden zu überwachen. Demselben Zwecke diene auch die Auskunft über die Sonn- und Feiertagsarbeit.

Vorliegend sei auch der örtliche Betriebsrat zuständig und nicht der Gesamtbetriebsrat. Dieser habe zwar die Gesamtbetriebsvereinbarung geschlossen, deren Durchführung durch die Informationen kontrolliert werden sollen. Dem Gesamtbetriebsrat seien nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von überbetrieblichen bzw. das Gesamtunternehmen betreffende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, bei denen die Betriebsparteien eine Regelungsbefugnis haben, zugewiesen. Bei Beteiligungssachverhalten, die einer weiteren Ausgestaltung durch die Betriebsparteien nicht zugänglich seien oder einer solchen nicht bedürfen, bleibe es bei der Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats. Dies betreffe etwa die Geltendmachung von Rechtsansprüchen, die allein vom Vorliegen der im Gesetz bestimmten Voraussetzungen abhängig seien. Hierzu zählten auch die Überwachungsrechte nach § 80 Abs. 1 BetrVG.

Die Erfüllung des Auskunftsanspruchs sei der Arbeitgeberin auch nicht unmöglich. Die Tatsache, dass sie die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden des Vertriebsaußendienstes nicht erfasse, stehe dem Anspruch nicht entgegen. Zwar sei eine Information grundsätzlich nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn der Arbeitgeber tatsächlich über sie verfüge. Dies gelte jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber die notwendigen Daten nur deshalb nicht habe, weil er sie nicht erheben wolle. Soweit der Arbeitgeber auf die Erfassung der Arbeitszeit verzichte, sei dies ein Zugeständnis gegenüber seinen Arbeitnehmern, das nicht das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis zum Betriebsrat beeinflussen könne.

Abweichendes ergebe sich auch nicht aufgrund des Umstandes, dass der deutsche Gesetzgeber bisher die sich aus der Rechtsprechung des EuGH sich ergebenden Regelungsauftrag, eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung einzuführen (EuGH, Urt. v. 14.5.2019 – C 55/18), bislang nicht nachgekommen ist. Dies schließt jedoch nicht den Anspruch des Betriebsrats aus, der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bislang schon gegeben war und dessen Sinn es sei, die Arbeitnehmer noch von anderer Seite zu schützen.

Der Praxistipp

Bereits in einem Beschluss aus dem Jahre 2003 hatte das BAG entschieden, dass auch bei „Vertrauensarbeitszeit“ der Betriebsrat Auskunft über Beginn und Ende der täglichen und den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit beanspruchen könne (BAG, Beschl. v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02). Das BAG hatte seinerzeit schon mit klaren Worten ausgeführt, dass ein Verzicht auf die Erhebung von Arbeitszeitdaten der Arbeitnehmer keine zu respektierende Ausübung der betrieblichen Organisations- und Leitungsmacht des Arbeitgebers sei. Der Arbeitgeber habe seinen Betrieb so zu organisieren, dass die gesetzlichen und tariflichen Höchstarbeitszeitgrenzen eingehalten werden. Dies mache es unumgänglich, den Betrieb so zu organisieren, dass er die Arbeitszeiten erfasse und erforderlichenfalls korrigierend eingreife.

Die Entscheidung des LAG München kam daher nicht überraschend, auch wenn das Gericht noch nicht den nachfolgenden Beschluss des BAG berücksichtigen konnte, in dem das BAG die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten nunmehr aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz folgert (BAG, Beschl. v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21). An einer Arbeitszeiterfassung auch bei der sog. „Vertrauensarbeitszeit“ führt daher kein Weg vorbei. Dies bedeutet nicht, dass die Vertrauensarbeitszeit „tot“ ist, wie mancherorts zu lesen ist. Vielmehr muss man sich im Klaren sein, was Vertrauensarbeitszeit bedeutet und was sie nicht leisten kann. Vertrauensarbeitszeit heißt weder, dass die Dauer der Arbeitszeit nicht festgelegt ist und die Arbeitnehmer solange arbeiten müssen, bis die Arbeit erledigt ist, noch entbindet sie von der lästigen Pflicht zur Erfassung. Vertrauensarbeitszeit stellt letztlich eine Flexibilisierung zugunsten der Arbeitnehmer dar. Der Arbeitgeber verzichtet auf seine Befugnis, die Lage der Arbeitszeit im Rahmen des Direktionsrechts festzulegen. In diesem Sinne hat die Vertrauensarbeitszeit weiterhin eine Zukunft.

(LAG München, Beschl. v. 11.7.2022 – 4 TaBV 9/22)

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